Magische Kugel für ADAM10
Die Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung zeichnet Dr. Silvio Weber von der Technischen Universität Dresden mit einem Graduierten-Stipendium aus.
Mit einem ganz speziellen ADAM hat es Silvio Weber seit Jahren fast täglich in seiner Arbeit im Pharmakologischen Institut an der Technischen Universität Dresden zu tun. Er heißt ADAM10 und ist ein Molekül. Genauer gesagt ein Eiweiß, ein Enzym, das andere Moleküle wie eine Schere von der Zelloberfläche abschneidet. Daraufhin kommen ganze Ketten von Reaktionen in- und außerhalb der Zelle in Gang. ADAM10 ist nur einer aus einer ganzen Familie von mehr als 15 aktiven ADAM-Enzymen. Wie seine Brüder ist ADAM10 fest auf vielen Zellen unseres Körpers verankert – auf Haut-, Leber- und Gehirnzellen und so weiter. Er ist mit ein paar Millionstel Millimeter Größe unfassbar klein – so winzig, dass man ihn nicht einmal mit den besten Lichtmikroskopen erkennen kann.
Für Silvio Weber bedeutet ADAM10 eine Hoffnung – auf langfristig neue Therapien gegen schwer zu therapierende oder gar nicht zu heilende Krankheiten wie viele bösartige Tumorarten oder Alzheimer. Die Nürnberger Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung teilt diese Hoffnung – und unterstützt Silvio Webers wissenschaftliche Detailarbeit im Labor jetzt mit einem Graduierten-Stipendium.
Der Nachwuchswissenschaftler formuliert das Ziel seines jungen Forscherlebens sehr klar: „hoch spezifische und nebenwirkungsarme Substanzen zu entwickeln, die ADAM10 ausschalten können.“ Denn ADAM10 hat eine Schattenseite: Obwohl in vielen gesunden Zellen zwingend für ein reibungsloses Leben gebraucht, wird das Enzym krankhaft aktiv, wenn Zellen – wie bei Krebs – entarten und zu schnell wachsen und sich hemmungslos vermehren. Dann schneidet ADAM10 beispielsweise besonders gerne sogenannte Wachstumsfaktoren von der Zelloberfläche ab. „Diese Wachstumsfaktoren werden dann aktiv und tragen zum Tumorwachstum bei“, wie der Stiftungsstipendiat betont. Man könnte sagen, dass ADAM10 einer der wesentlichen Antreiber der Krebsentwicklung sein kann.
Es liegt also nahe, das Enzym zu blockieren, um das Tumorwachstum zu bremsen. Tatsächlich existiert bereits eine Substanz, die genau das macht. Wenn man diese Substanz zu Krebszellen gibt, reduziert sich das Wachstum der Krebszellen erheblich und sie besiedeln auch weniger oft Tochtergewulste. Das Problem: Auch gesunde Zellen brauchen ein normal funktionierendes ADAM10, das aber durch die Gabe der Substanz in den Blutstrom ebenfalls blockiert würde. Beide Effekte hat Weber mit seinen eigenen bisherigen Experimenten bereits vielfach beobachten können. So würde diese Substanz als Medikament beim Menschen vermutlich viele Nebenwirkungen erzeugen, würde man sie spritzen oder schlucken lassen.
Die mögliche Lösung: Die Substanz (fast) ausschließlich an die Tumorzellen heranzubringen – vorbei an allen gesunden Zellen. „Das ist jetzt mit einem neuen Verfahren möglich“, freut sich Weber. Hierfür wird die ADAM10-blockierende Substanz an einen tumor-spezifischen Antikörper gekoppelt, von denen Forscherkollegen aus Dresden bereits einige erfolgreich hergestellt haben. Dieses Konstrukt wird in den Körper gespritzt – und wie magisch von einem Molekül angezogen, das (fast) nur auf den Tumorzellen zu finden ist. „So landet unsere Substanz gegen ADAM10 genau und nur da, wo sie landen soll“, sagt Weber – und wirkt so wie eine magische Kugel.
Diese magische Kugel baut das Team des Stipendiaten gerade zusammen, um sie möglichst rasch an isolierten Tumorzellen und Mäusen zu testen. Wäre ein solches System einmal etabliert, könnte man sie theoretisch für die Therapie aller möglichen Erkrankungen variieren, bei denen ADAM10 eine Rolle spielt. Silvio Weber glaubt an das Potenzial des Verfahrens – und daran, dass seine tägliche Laborbegegnung mit ADAM10 eines Tages schwer kranken Patienten helfen kann.